Als im vergangenen Jahr am 19. März, dem Festtag des heiligen Josef, die Apostolische Konstitution Praedicate Evangelium veröffentlicht wurde, stellte sie für viele Vaticanista einen der Höhepunkte des Jahres 2022 dar. Die Einführung am Pfingstsonntag, dem 5. Juni, wurde mit großer Spannung und Interesse erwartet, auch im Hinblick auf die Personalpolitik: Würde Papst Franziskus einige Präfekten direkt ersetzen? Wenn ja, welche und wer würde sie ersetzen?
Viele Beobachter erwarteten, dass es gleich am ersten Tag einen großen Personalwechsel geben würde. Schließlich gab es beispielsweise mit dem Dikasterium für Kultur und Bildung eine völlig neue Zusammensetzung zweier päpstlicher Räte und darüber hinaus waren die meisten der amtierenden Präfekten über 75 Jahre alt. Obwohl Papst Franziskus die Rücktrittsgrenze auf 80 Jahre angehoben hat, wäre es verständlich gewesen, wenn mit einer Reorganisation der Kurie auch eine teilweise neue Führungsriege einhergehen würde. Die große personelle Umstrukturierung blieb vorerst aus, erst in den letzten Monaten des Jahres fielen die ersten großen Würfel.
Anfang September begannen die ersten Berichte zu erscheinen, dass der Archivar und Bibliothekar der Heiligen Römischen Kirche, Kardinal José Tolentino Mendonça (57, Portugal), erster Präfekten des neuen Dikasterium für Kultur und Bildung werden würde. Am 26. September machte Papst Franziskus diesen Wechsel offiziell und ernannte Angelo Vincenzo Zani (72, Italien), den Sekretär der nun aufgelösten Kongregation für das Katholische Bildungswesen, zu dessen Nachfolger. Die Wahl von Mendonça war nicht ganz unerwartet, denn der Portugiese ist Dichter, leitete mehrere Jahre lang das Nationale Sekretariat für pastorale Kultur der portugiesischen Bischofskonferenz und war bereits unter Papst Benedikt XVI. als Berater für den Päpstlichen Rat für Kultur tätig. Dass Papst Franziskus ihn sehr schätzte, war sowohl im Vatikan als auch außerhalb kein Geheimnis.
Ende November endete dann eine 15-jährige Epoche in dem Dikasterium für die orientalischen Kirchen, als Papst Franziskus den altersbedingten Rücktritt von Kardinal Leonardo Sandri (79, Argentinien) annahm. Der Subdekan des Kardinalskollegium war damals als ausgebildeter Diplomat in das Amt gekommen, zwar folgt auf ihn nun offiziell ein weiterer Diplomat, jedoch ist es doch eine ganz andere Geschichte. Papst Franziskus hat sich hierbei für den Apostolischen Nuntius in Großbritannien, Erzbischof Claudio Gugerotti (67, Italien), entschieden. Qualifiziert für dieses Amt ist der Veneter ohne Frage, so hat er nicht nur orientalische Literatur und Sprache studiert, sondern schließlich auch am Päpstlichen Orientalischen Institut in orientalischen Kirchenwissenschaften promoviert. Sein Fachwissen war sofort an den verschiedensten Universitäten gefragt, und es dauerte nicht lange, bis ihn Papst Johannes Paul II. als Untersekretär der Kongregation für die Ostkirchen in den Vatikan holte. In diesem Amt blieb er bis 2001, als er als ungelernter Diplomat zunächst nach Georgien und Armenien, dann nach Belarus, in die Ukraine und schließlich nach Großbritannien entsandt wurde.
Obwohl diese Ernennung rückblickend Sinn macht, war sie doch eine große Überraschung, da nur wenige Gugerotti auf dem Radar hatten. Eine interessante Beobachtung ist jedoch, dass beide Personen, Mendonça und Gugerotti, als Experten in den Fachgebieten ihrer Dikasterien gelten. Auch wenn man bei den Ernennungen von Papst Franziskus ein wenig zurückgeht, scheint es einen starken Fokus auf die Auswahl qualifizierter Personen für die Arbeitsbereiche der Dikasterien zu geben. Kardinal Arthur Roche (72, England), der lange Zeit Vorsitzender der Internationalen Kommission für die englische Sprache in der Liturgie war und dann viele Jahre als Sekretär der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung tätig war, kann als Beispiel angeführt werden. Auch Kardinal Miguel Ángel Ayuso Guixot MCCJ (70, Spanien) ist hier zu nennen, der ein ausgesprochener Experte auf dem Gebiet des interreligiösen Dialogs mit besonderem Schwerpunkt auf dem Islam ist.
Nun mag man einwenden, dass dies ein offensichtlicher Punkt ist. Allerdings kann man hier eine Parallele zu Bundesministerien ziehen. Oftmals sind die Minister keine Experten auf dem Gebiet, so dass die eigentliche Expertise bei den Staatssekretären liegt. So kann beispielsweise ein Bankkaufmann zum Bundesminister für Gesundheit werden. In der Kurie ist es oft nicht anders, oft ging es (und hier kommt meine Interpretation ohne Frage ins Spiel) in erster Linie um die Person und der Aufgabenbereich ist dann eher Nebensache. Nun scheint aber mehr als früher auf die Expertise der Kandidaten geachtet zu werden, so dass man, wenn diese These der Realität entspricht, hier von einer Veränderung im Ernennungsprofil von Papst Franziskus sprechen kann.
Blick auf das Glaubens- und Bischofsdikasterium
Diese These bildet eine interessante Möglichkeit, einen Blick auf das Jahr 2023 in der Kurie zu werfen. In einigen der wichtigsten Dikasterien stehen Führungswechsel an, von denen wir uns die beiden wichtigsten näher ansehen werden. Auch wenn personelle Vorhersagen im Pontifikat von Franziskus äußerst schwierig zu treffen sind, sollten auch hier Ausblicke gewagt werden.
Besonders viel mediale Aufmerksamkeit wird eine Neubesetzung im Dikasterium für die Glaubenslehre erzeugen. Auch wenn Papst Franziskus nun das Dikasterium für die Evangelisierung als erste Instanz eingestuft hat, so ist es in der Wahrnehmung vieler interessierter Gläubiger und Beobachter doch noch immer das Dikasterium für die Glaubenslehre, das die größte Bedeutung hat. Die fünfjährige Amtszeit von Kardinal Luis Ladaria SJ (78, Spanien) hätte am 1. Juli 2022 auslaufen sollen, aber er ist derzeit noch im Amt. Noch in diesem Jahr sollte jedoch ein Wechsel stattfinden, und, wie bereits an anderer Stelle gesagt, ist dies eine Gelegenheit für Papst Franziskus, die Ausrichtung des Glaubensdikasteriums zu reformieren.
Führender Kandidat dafür dürfte nach wie vor der Erzbischof von Malta, Charles Scicluna (62, Malta), sein, der ein Experte im Umgang mit Missbrauch ist und derzeit noch als beigeordneter Sekretär im Glaubensdikasterium tätig ist. Es wäre eine Ernennung, die zu unserer These passen würde, aber gleichzeitig zeigen würde, dass das Thema Missbrauch noch mehr in den Mittelpunkt des Dikasteriums rücken würde. Inzwischen sogar von einzelnen etablierten Medien gehandelt, ist Heiner Wilmer SCJ (61, Deutschland), der Bischof von Hildesheim. Wilmer ist ohne Frage eine Person, die sich sehr stark auf glaubensdogmatische Themen einlässt und in vielen zentralen Angelegenheiten kritisch eingestellt ist. Zugleich wäre Wilmer eine Personalie, die nicht der aufgestellten These entspricht, sodass Wilmer nicht Mitglied der Glaubenskommission in der Deutschen Bischofskonferenz ist. Als Dauerkandidat, der der These entsprechen würde, wird ein enger Freund von Papst Franziskus gehandelt: Víctor Manuel Fernández (60, Argentinien), Erzbischof von La Plata! Aufgrund der Tatsache, dass er ein Dauerkandidat ist, haben wir bereits an anderer Stelle über ihn berichtet.
An dieser Stelle sollten jedoch noch drei weitere Kandidaten erwähnt werden, die als mögliche Nachfolger in Frage kommen, aber noch nicht groß thematisiert worden sind.
Im Mai läuft die vierjährige Amtszeit von Erzbischof Walmor Oliveira de Azevedo (68, Brasilien), dem Vorsitzenden der brasilianischen Bischofskonferenz, ab, sodass sich eine optimale Gelegenheit ergeben würde, den Erzbischof von Belo Horizonte in den Vatikan zu holen. In einem älteren Artikel habe ich die Meinung vertreten, dass de Azevedo als Kandidat für das Kardinalskollegium in Frage kommt. Mit dem bevorstehenden Ausscheiden von Kardinal João Braz de Aviz (75, Brasilien) als Präfekt des Dikasteriums für die Institute des geweihten Lebens und für die Gemeinschaften des apostolischen Lebens wird es keinen Südamerikaner mehr geben, der ein Dikasterium leitet, ein Schicksal, das bereits afrikanische Bischöfe und Kardinäle ereilt hat. In dieser Hinsicht macht der 68-jährige Brasilianer, der seit 2009 Mitglied der Glaubenskongregation ist, sehr viel Sinn.
Auch der Weihbischof von São Sebastião do Rio de Janeiro, Joel Portella Amado (68, Brasilien), könnte eine überraschende Wahl sein, der das “Südamerika-Problem” lösen würde (wobei er auch für das Amt des Kardinalgroßpönitentiar in Frage kommt). Ein möglicher Kandidat wäre auch Bischof Antonio Staglianò (63, Italien), der erst im vergangenen Jahr zum Präsident der Päpstlichen Akademie für Theologie ernannt wurde.
Eine besonders zukunftsweisende und damit wichtige Entscheidung wird sein, wer die Nachfolge von Kardinal Marc Ouellet PSS (79, Kanada) als Präfekt des Bischofsdikasteriums antreten wird. Als das Gremium, das die Auswahl der meisten neuen Bischöfe überwacht, ist der Präfekt eine der einflussreichsten Personen in der gesamten Kirche. Im Hinblick auf die These ist es jedoch schwierig, einen Experten auf diesem Gebiet zu definieren, weshalb diese Position wahrscheinlich sehr stark von der Personalie abhängen wird. Da der Präfekt maßgeblich an der Gestaltung des internationalen Episkopats beteiligt ist, wird Papst Franziskus gewiss jemanden auswählen, der seine Auffassung sehr gut vertritt. Es sollte also jemand werden, der sich auch sehr für eine synodale Kirche, wie Franziskus sie versteht, einsetzt.
Der naheliegendste Kandidat wäre hier der langjährige Sekretär des Dikasteriums, Ilson de Jesus Montanari (63, Brasilien). Er hat dieses Amt nicht nur seit 2013 inne, sondern war bereits seit 2008 im Dikasterium tätig. Gleichzeitig würde seine Ernennung das erwähnte "Südamerika-Problem" lösen (wenn es überhaupt ein Problem für Franziskus darstellt) und kraft seines Amtes wäre er der zweite Südamerikaner, der die Päpstliche Kommission für Lateinamerika leitet (der Brasilianer Kardinal Lucas Moreira Neves OP leitete sie während seiner Zeit als Präfekt von 1998 bis 2000).
Ein Erzbischof, den Papst Franziskus sehr schätzt, ist der Ständige Beobachter des Heiligen Stuhls bei den Vereinten Nationen in Genf, Fortunatus Nwachukwu (62, Nigeria). Mit seiner langjährigen Erfahrung im Staatssekretariat des Vatikans ist er auch im Vatikan kein Unbekannter. Zwar ist er erst seit etwas mehr als einem Jahr auf seinem jetzigen Posten, doch zeigt die Ernennung von Erzbischof Gugerotti, dass dies nicht unbedingt ein Hindernis darstellt. Mit seiner Erfahrung im Staatssekretariat wäre er eigentlich ein idealer Nachfolger für Kardinal Pietro Parolin (67, Italien), da dieser aber noch lange im Amt sein dürfte, könnte Papst Franziskus ihn für einen anderen Posten an die Kurie holen. Nwachukwu, der unter anderem an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main studiert hat, kennt die internationale Kirche sehr gut, bringt Erfahrung im Vatikan mit, wird von Franziskus immerhin so geschätzt, dass er seine Bücher an alle Kurienmitarbeiter verschenkt, und kommt ursprünglich eher aus der Peripherie der Kirche. Die Ernennung von Fortunatus Nwachukwu wäre also keine Überraschung.
Zwei US-amerikanische Kandidaten, die bereits in den Medien und auch von mir diskutiert wurden, sind der Erzbischof von Chicago, Kardinal Blase Cupich (73), und der Bischof von Chiclayo in Peru, Robert F. Prevost (67). Es handelt sich bei beiden um ernstzunehmende Kandidaten. Sollte sich Papst Franziskus für Cupich entscheiden, was eine sehr aussagekräftige Wahl für die gesamte Kirche wäre, wäre Prevost wohl ein Kandidat für dessen Nachfolge in Chicago.
Schließlich sind hier noch drei Namen zu nennen, die derzeit nicht stark diskutiert werden, aber im Spiel sein könnten. Der eine ist Kardinal Oscar Cantoni (72, Italien), Bischof von Como, der erst letztes Jahr sehr überraschend in das Kardinalskollegium aufgenommen wurde. Der andere ist Bischof Paul Tighe (64, Irland), der zuletzt Sekretär des Päpstlichen Rates für die Kultur war und erst im vergangenen Juli zum Mitglied des Bischofskollegiums ernannt wurde. Der ehemalige Privatsekretär von Papst Franziskus und jetzige Mitarbeiter im Dikasterium, Pater Fabiàn Pedacchio (56, Argentinien), sollte ebenfalls als Kandidat in Betracht gezogen werden.
Das Jahr 2023 wird also in Bezug auf die Kurie sehr interessant werden, so dass es auch in anderen Dikasterien zu Veränderungen kommen könnte und die Kurie am Ende des Jahres ganz anders aussehen dürfte. Auch könnte es direkt in diesem Jahr ein weiteres Konsistorium geben. Alle Informationen dazu werden Sie hier lesen können, sobald es soweit ist.
Update, 15. März 2023: Erzbischof Fortunatus Nwachukwu wurde von Papst Franziskus heute an die Kurie beordert und zum Sekretär der Sektion für die erste Evangelisierung und die neue Teilkirchen des Dikasteriums für die Evangelisierung ernannt!
Schön, nach so langer Zeit wieder einen Beitrag von dir zu lesen! :-)