Kirche in Spanien - Bastion oder Bastille?
Generationswechsel in der spanischen Kirche steht bevor
In den letzten Jahrzehnten gab es über ganz Europa hinweg einen wachsenden Säkularismus und einen Schwund an praktizierenden Katholiken, der auch ehemalige katholische Hochburgen wie Italien, Frankreich und Irland im Sturm erobert hat. Ein weiteres Land, das seit dem Tod Francisco Francos dieses Schicksal erlitten hat, ist Spanien. Heute scheint Spanien, das von einer sozialistischen Regierung geführt wird, von der zunehmenden Ablehnung des spanischen Monarchismus betroffen ist und in dem zahlreiche Veränderungen bei der Besetzung bischöflicher Ämter anstehen, an einem Scheideweg zu stehen, sowohl in der allgemeinen Kultur als auch in der Kirche.
Einfluss der Kirche während und nach dem Franco-Regime
Das "uneinnehmbare Bollwerk des katholischen Glaubens" (baluarte inexpugnable de la fe católica), von dem Papst Pius XII. in seiner Radiobotschaft an die Gläubigen Spaniens nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs im April 1939 sprach, scheint heute eingenommen worden zu sein. Obwohl der katholische Glaube in Spanien nach wie vor eine große kulturelle Bedeutung hat, zeigen Studien des Centro de Investigaciones Sociológicas, dass nur noch 14,1 % aller spanischen Katholiken praktisch jeden Sonntag in die Kirche gehen, während 59 % wenig oder gar nicht mehr die Heilige Messe besuchen.
Eine historische Analyse würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, aber die Situation der katholischen Kirche in Spanien ist seit dem Sturz des Franco-Regimes in besonderer Weise angespannt. Die Kollaboration der katholischen Kirche mit dem Regime wird heute in der Öffentlichkeit und in der Wissenschaft kritisch gesehen und die Thematik hat in den letzten Jahren, beispielsweise durch die Exhumierung Francos, neuen Wind bekommen. Auch die Tatsache, dass die Mehrheit der spanischen Bevölkerung heute negativ auf das Franco-Regime zurückblickt und die katholische Kirche darin natürlich eine prägende Rolle spielte, trägt dazu bei, dass auch die Kirche negativ gesehen wird und in den Augen vieler Spanier an Kredibilität verliert.
Zum Ende des Franco-Regimes änderte die Kirche ihre Meinung und wandte sich zunehmend kritisch gegen Franco. Die Bischöfe begannen sogar, die Trennung von Kirche und Staat zu fordern, und sie forderten eine Revision des Konkordats von 1953. Die folgenden Jahre der Movida Madrileña waren bereits durch einen zunehmenden Rückgang des Einflusses der Kirche gekennzeichnet. Heute scheint dieser Einfluss geringer denn je zu sein, und seit dem ersten Wahlsieg der Sozialisten im Jahr 2004 hat die Kirche in allen möglichen sozialen Fragen Niederlagen erlitten. Im Fall der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe im Jahr 2005 reichten nicht einmal die Appelle von Papst Johannes Paul II. aus, um die Meinung der Gesellschaft zu ändern. Es war ein Zeichen dafür, dass das "uneinnehmbare Bollwerk des katholischen Glaubens" dem Wandel der Zeit nicht mehr standhalten konnte.
Sozialistische Regierung unter Pedro Sánchez
Seit dem erneuten Wahlsieg der Sozialisten im Jahr 2019 scheint die Regierung unter Pedro Sánchez sehr engagiert zu sein, um den sozialen Fortschritt fortzusetzen, der ihrer Meinung nach in den acht Jahren unter der Regierung von Mariano Rajoy und der konservativen Partido Popular gebremst wurde. Ein besonders zentrales Thema ist dabei die Sterbehilfe, die 2020 verabschiedet wurde und nun seit letztem Jahr erlaubt ist. Dies war erneut eine Niederlage für die Kirche, die sich dem Gesetz widersetzte. Die Regierung Sánchez ging auch im Bildungsbereich gegen die Kirche vor, indem sie die Mittel für ihre Schulen strich, weil sie nicht genügend inklusiv waren.
In den letzten Tagen machte die spanische Regierung mehrfach Schlagzeilen in Bezug auf die katholische Kirche, so wurde einerseits eine Vereinbarung zwischen der Regierung und der Kirche getroffen, wonach fast 1000 Besitztümer der Kirche an den Staat zurückgegeben wurden und andererseits forderte ein Teil der Regierung, dass der Staat eine unabhängige Kommission einrichtet, die sich mit dem sexuellen Missbrauch von Geistlichen in Spanien befasst.
Generationswechsel in der spanischen Kirche
Die Kirche hat den Einfluss auf die Regierung und auf die Gesellschaft verloren, letzteres ist vermutlich am meisten durch die sinkenden Messbesuche und die rückgängige Zahl an Ordeneintritten und Priesterweihen zu erkennen. Wie in so vielen anderen Teilen der Welt - besonders in Europa - steht die spanischen Kirche hier vor einem Scheideweg: Wie kann man wieder mehr Katholiken für sich gewinnen und eventuell sogar den Status des “uneinnehmbare Bollwerk des katholischen Glaubens” wiedergewinnen?
Diese Frage wird in vielen wichtigen Diözesen bald nicht mehr von der jetzigen, sondern von einer kommenden neuen Kirchenleitung beantwortet werden müssen. In der spanischen Kirche steht, so kann man sagen, ein Generationswechsel bevor. Derzeit haben zehn spanische Bischöfe das Rücktrittsalter von 75 Jahren erreicht, sechs davon sind Erzbischöfe und davon wiederum sind vier Kardinäle. Weitere zehn Bischöfe, darunter die Erzbischöfe von Granada und Mérida-Badajoz, werden in den nächsten 12 Monaten das Rentenalter erreichen.
Ganz Spanien, einschließlich der Regierung, wird wohl sehr genau darauf achten, wen Papst Franziskus für die wichtigen Ämter des Erzbischofs von Madrid und Barcelona ernennen wird. Der derzeitige Erzbischof von Barcelona, Kardinal Juan José Omella (75), ist auch Vorsitzender der spanischen Bischofskonferenz, und da er dieses Amt bis 2024 innehaben wird, wird allgemein erwartet, dass er auch den Bischofsstuhl in Barcelona so lange innehaben wird. Das Gleiche dürfte für Kardinal Carlos Osoro Sierra (76) gelten, der seit 2015 Erzbischof von Madrid ist und seit vielen Jahren auch Stellvertretender Vorsitzender der Bischofskonferenz ist. Beide Personen wurden von Franziskus in ihre jeweiligen Ämter berufen und anschließend in das Kardinalskollegium aufgenommen, so dass viele Experten davon ausgehen, dass sie vorerst im Amt bleiben werden.
Ein Indiz dafür ist auch, wie lange Papst Franziskus den Erzbischof von Valladolid, Kardinal Ricardo Blázquez Pérez, den er 2015 (teilweise) unerwartet in das Kardinalskollegium aufgenommen hat, im Amt halten wird. Blázquez, der im April 80 Jahre alt wird und damit sein Stimmrecht im Konklave verliert, ist noch immer im Amt. Eigentlich war erwartet worden, dass er nach seinem Rücktritt als Vorsitzender der Spanischen Bischofskonferenz im Jahr 2020 auch in seiner Erzdiözese in den Ruhestand gehen würde, doch dazu ist es bisher nicht gekommen.
Es ist etwas überraschend, dass Franziskus den derzeitigen Erzbischof von Valencia, Kardinal Antonio Cañizares Llovera, noch nicht in den Ruhestand geschickt hat. Immerhin war es der inzwischen 76-jährige "kleine Ratzinger", der 2014 von Franziskus von der Kurie nach Valencia versetzt wurde. Die damalige Versetzung des Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung galt als Degradierung, auch wenn die offiziellen Gründe nie ganz geklärt wurden.
Neben den vier Kardinälen verdient der Erzbischof von Santiago de Compostela, Julián Barrio Barrio (75), der seit 1996 die Diözese des berühmtesten Wallfahrtsortes Spaniens leitet und mit dessen Rücktritt eine Ära enden wird, eine besondere Erwähnung.
Es wird nicht allein an den Nachfolgern dieser Persönlichkeiten liegen, ob die Kirche in Spanien ihren Glanz wiedererlangen kann, aber es steht außer Frage, dass sie eine wichtige Rolle spielen werden. So ist es trotz aller Merkwürdigkeiten, die Franziskus bei der Ernennung von Kardinälen begeht, so gut wie sicher, dass zumindest der nächste Erzbischof von Barcelona und von Madrid dem Kardinalskollegium angehören wird.
Bisher haben sich die spanischen Bischöfe auf den Dialog mit der Sánchez-Regierung konzentriert, sind mit zaghaften Protesten nicht weit gekommen und haben eine moralische Niederlage nach der anderen hinnehmen müssen. Ist hier vielleicht ein Umdenken erforderlich, oder lassen sich mit diesem Ansatz in Zukunft Erfolge erzielen? Das ist nur eine der Fragen, die sich die spanischen Bischöfe jetzt stellen sollten, denn dies ist jetzt der Teil der Geschichte, über den in späteren Jahren berichtet werden wird, wenn die Kirche entweder wieder wie eine Bastion dasteht oder wie die Bastille endgültig von der Revolution überrannt worden ist.