Blick über den Tellerrand: "Außenminister" der russisch-orthodoxen Kirche abgesetzt!
Der heutige Tag war voller interessanter Nachrichten und da die Neubesetzung der Kurienämter wohl noch auf sich warten lässt, möchte ich ein neues, unregelmäßiges Format ausprobieren. Hier möchte ich, wie der Name schon sagt, einen Blick über den Tellerrand wagen und über Themen berichten, die nicht zu den typischen Themen gehören, zu denen ich üblicherweise schreibe. Wie das in Zukunft genau aussehen wird oder welche Themen genau beleuchtet werden sollen, ist mir noch nicht ganz klar, weshalb ich auch gerne auf Anregungen und Ideen von Euch, den Lesern, gespannt bin.
Wir beginnen dieses Format zunächst nur mit einer einzigen Meldung:
“Außenminister” des Patriarchat von Moskau abgesetzt
Eine äußerst überraschende Nachricht erreichte uns heute Mittag aus Moskau: Der bisherige Metropolit von Wolokolamsk, Hilarion Alfeyev, ist als Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats quasi der "Außenminister" der Russisch-Orthodoxen Kirche und spielt in dieser Funktion eine wichtige öffentliche Rolle. Nun aber muss der 55-Jährige im Zuge einer Umstrukturierung innerhalb der Kirchenhierarchie diesen wichtigen Posten räumen und wird Administrator der Eparchie von Budapest und Ungarn, was für Verwunderung sorgt und nicht zuletzt auf seine Haltung zum Ukraine-Krieg schließen lässt.
Als im Januar 2009 die Vertreter aller Eparchien der Russisch-Orthodoxen Kirche zusammenkamen, um den Nachfolger des im Monat zuvor verstorbenen Patriarchen Alexius II. zu wählen, fiel die Wahl im ersten Wahlgang auf den amtierenden Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Kyrill Gundjajew. Da Kyrill I. nun Patriarch war, besetzte er seinen alten Posten mit dem Bischof von Wien und Österreich, Hilarion Alfeyev!
Alfeyev, der als begnadeter Theologe gilt und als solcher auch an der Universität Fribourg (Schweiz) lehrte, war kein Neuling in der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen des Moskauer Patriarchats, so dass er dort um die Jahrhundertwende mehrere Jahre als Sekretär für interchristliche Angelegenheiten arbeitete. Seither traf er im Namen der Russisch-Orthodoxen Kirche mit vielen wichtigen Personen zusammen, darunter auch Päpste und Mitglieder der Kurie.
Über Skandale oder Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem Patriarchen sickerte kaum etwas durch. Doch das hat sich vor weniger als zwei Wochen geändert!
Einstellung zum Ukraine-Konflikt als Grund für Versetzung?
Wie Orthodox Times am 27. Mai berichtete, scheint Metropolit Hilarion zu einer Zeit, in der Patriarch Kyrill von Moskau seine Logik der Identifikation mit der Politik des Kremls fortsetzt und den Krieg in der Ukraine rechtfertigt und unterstützt, zu versuchen, sich von diesem zu distanzieren. Man vermutet sogar, dass Hilarion keine volle Identifikation mit Patriarch Kyrill wünscht, insbesondere nach der heftigen Kritik, die er seit Beginn des Krieges in der Ukraine erhalten hat.
Schon zu Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine hat sich der Metropolit von Wolokolamsk nicht so deutlich geäußert wie Kyrill I. Wenngleich er eigentlich keine konkreten Aussagen dazu machte, wies die Universität Fribourg in ihrer Stellungnahme zum Entzug seiner Titularprofessur darauf hin, dass "Metropolit Hilarion durch sein Schweigen die Position seines Patriarchen einzunehmen scheint." Obwohl er kurz vor Ausbruch des Krieges sagte, er sei zutiefst davon überzeugt, dass der Krieg kein Mittel zur Lösung der aufgestauten politischen Probleme sei, blieben Äußerungen dieser Art seit Beginn des Krieges aus.
Erst vergangene Woche sagte der ukrainische Vatikan-Botschafter Andrii Yurash im Interview mit kath.ch:
“Hilarion hat zwei Gesichter. In der Schweiz und in der westlichen Welt zeigt er ein freundliches Gesicht. Er inszeniert sich als Brückenbauer zwischen dem Westen und der russisch-orthodoxen Kirche. Dabei schweigt er zum Kriegstreiben Putins und zur metaphysischen Legitimation des Krieges durch Patriarch Kyrill. Er distanziert sich nicht – dabei bedeutet Schweigen Zustimmung. Ich bedauere sehr, dass die EU sich nicht auf Sanktionen gegen Patriarch Kyrill einigen konnte. Dabei sind Kyrill und Hilarion mitverantwortlich für alle Gräueltaten, die wir gerade in dieser schrecklichen, barbarischen Situation erleben.“
Dann geschah letzte Woche etwas Kurioses: In Zypern haben sich Vertreter der orthodoxen Kirchen für die für September geplante Vollversammlung des Weltkirchenrates zu einer Vorveranstaltung getroffen. Hier nahm auch Metropolit Hilarion als Teil der russisch-orthodoxen Delegation teil. Im Rahmen dessen wurde ein Papier verabschiedet, in dem es heißt, dass "die Teilnehmer des Treffens die Kriege einstimmig verurteilen und alle an den Konflikten beteiligten Parteien auffordern, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dringend den Frieden herzustellen und die Sicherheit in der Ukraine, in Russland, in Europa und in der ganzen Welt zu gewährleisten". Wie die Orthodox Times darüber hinweg anmerkt, kann die Tatsache, dass es in diesem Absatz heißt, die Verurteilung des Krieges sei "einstimmig", nicht unbemerkt bleiben. Und das bedeutet, dass auch die russische Kirche in Anwesenheit des Metropolit von Wolokolamsk verurteilt wurde.
Darüber hinaus gab es auch noch Aufsehen über ein Treffen zwischen dem Erzbischof von Zypern und Metropolit Hilarion im Rahmen dieses Treffens und den Kommentaren von dem gastgebenden Erzbischof. Dieser ließ nach dem Treffen verlauten:
"Kyrill hat alle Metropoliten niedergedrückt. Er ist sehr egoistisch und die Metropoliten haben Angst, ihm nahe zu sein. Ich hatte viele Auseinandersetzungen mit ihm, weil er im Unrecht war. Mir wurde klar, dass die Kirche Russlands früher unter dem Kommunismus stand und die russischen Metropoliten nicht reden konnten, weil sie taten, was der Generalsekretär der Partei ihnen befahl."
Es ist anzumerken, dass der Erzbischof von Zypern aktuell nicht mehr in Kommunion mit dem Moskauer Patriarchen steht, da er die Orthodoxe Kirche der Ukraine (nicht zu verwechseln mit der kürzlich von Moskau getrennten Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats) anerkennen ließ, was Kyrill I. ablehnte und ihn daraufhin verurteilte.
Zudem berichtet Orthodox Times, dass Metropolit Hilarion auf dem Treffen eine sehr milde Haltung einnahm und in Gesprächen mit den Delegationen aller Kirchen eine beispiellose Mäßigung zeigte.
Es wird nun von allen Seiten vermutet, dass die Versetzung Hilarions nach Budapest mit dem Ukraine-Konflikt zusammenhängt, und ich denke, man kann davon ausgehen, dass die Ereignisse der letzten Wochen das Glas zum Überlaufen gebracht haben. In den kommenden Tagen und Wochen werden hier aber sicherlich weitere Hintergrundinformationen auftauchen und sicherlich auch Antworten auf interessante Fragen: Hat Hilarion für diese Verurteilung gestimmt? Wurden Hilarion und seine Abgeordnetenkollegen "getäuscht" und wurde diese Formulierung "hinter ihrem Rücken" geschrieben?
Hilarions Nachfolger wird übrigens der 37-jährige Antonij Sewrjuk, Metropolit von Korsun (Chersones) und Westeuropa sowie Primat des Patriarchalen Exarchats in Westeuropa. Sewrjuk war lange Zeit in Italien tätig und hat dazu beigetragen, dass die Zahl der Gläubigen und Pfarreien dort stark zugenommen hat. Außerdem ist er seit einiger Zeit für die Institutionen des russisch-orthodoxen Patriarchats im weiteren Ausland zuständig, eine Aufgabe, die er bis auf Weiteres beibehalten wird. Domradio berichtet, dass er “einst persönlicher Sekretär von Patriarch Kyrill [war und] … seit 2004 als einer seiner engsten Vertrauten” gilt. Das sollte dann wohl darauf hindeuten, dass dieser auch ähnliche Ansichten wie der Patriarch im Konflikt mit der Ukraine haben wird!